V I E R T E S B U C H O M A N
Hier sind diejenigen, die Allah einwies! Dank seiner Weisung finde dich selbst zurecht, Prophet! Sage den Ungläubigen: „Ich verlange keinen Lohn. Es handelt sich um ein Bauwerk für die Welt“ Koran IV
I
Es war noch dunkel, als sie Dienstagmorgens von der Palmenoase Dibba aufbrachen. Sie wollten den Sonnenaufgang in der Wüste erleben. Mahoud fuhr auf einer Nebenstrasse, genau gen Westen. Er sah auf die Uhr und meinte, es würde bald dämmern. Er hielt den Wagen an. Als sie ausstiegen, wehte ein solch eisiger Wind, dass Stella trotz Mantels fror. „Ich hole dir eine Wolldecke“, schlug Mahoud vor und öffnete den Kofferraum. „Sobald die Sonne aufgeht, hört der Wind auf. Ist es besser so?“ „Danke, mein Beduine. So ist es besser.“ Langsam begann es heller zu werden, erst schemenhaft, dann immer deutlicher zeichnete sich die Landschaft in der Dämmerung ab. Mahoud kniete auf seinem Gebetsteppich und betete zu Allah. Dann endlich tauchte die Sonne am Horizont auf. Inmitten einer linearen Landschaft der Unendlichkeit. Weit in der Ferne erkannte man gestochen klar die blauschwarzen Berge des Hadjargebirges, darüber noch einige Sterne, die nach und nach verblassten. Wie gebannt schaute Stella über die Endlosigkeit der Sanddünen und begann sich im Geiste auszudehnen. Sie wurde zum Sand, sie wurde zum Wind, spielte sein ewiges Spiel, formte den Sand, wirbelte ihn durch die Luft und ließ seine Musik ertönen, leise, fast unhörbar, wie aus Sphären kommend... Dann ließ sie die Gedanken hinter sich, ließ die Töne hinter sich und tauchte ein in die große Stille.
Die Sonne strahlte nun in hellem Licht. Mahoud stand neben Stella. Da kehrte sie langsam, ganz allmählich wieder in ihren Körper zurück. Nach dem Erfahren von Grenzenlosigkeit ein fast schmerzhafter Zustand. „Du warst weit weg, Stella.“ „Das ist wahr. Zum Raum wird hier die Zeit.“ Sie lächelte ihn an. Jedoch so tief Stella sich in geistige Dimensionen hineinbewegte, so schnell schaltete sie wieder auf Normalität und Belanglosigkeit um. „Gibt es an diesem Platz der Welt auch Frühstück? Ich habe riesigen Hunger auf Rühreier mit Käse und Tomaten und ich brauche dringend Kaffee.“ „Das will ich doch hoffen“, meinte er lachend. „Wir haben alles dabei, was wir benötigen.“ Schnell bereiteten sie Kaffee auf dem Campinggaskocher. „Weißt du noch das Wort für Kaffee?“ „Qahwat“, gab sie zurück. Zum Kaffee gab es Fladenbrot und frischen Ziegenkäse, den sie gestern im Souk von Al-Fugaira besorgt hatten. Zu den Rühreiern aßen sie Toastbrot, denn zu ihnen passe kein Fladenbrot, fand Stella. Das passe wiederum besser zum Ziegenkäse, und der schmecke im Oman genauso gut, wie in Frankreich. „Das war heute noch einmal eine Ausnahme, Stella. Ab morgen gibt es selbstgebackenes Fladenbrot an einer richtigen Feuerstelle.“ „Wollen wir zurück in die Zeiten des Propheten, mein Beduine?“ Sie hob belustigt die Brauen und verzehrte dabei mit Genuss ihre Rühreier. „Wohin führt diese Reise?“ „Unsere Reise soll eine Reise der Erfahrung werden. Wo wir alles Unwichtige hinter uns lassen und uns auf das Wesentliche beschränken.“ „Solange wir Kaffee zu trinken haben, bin ich’s zufrieden.“ „Kaffee wird es geben.“ „Dann bitte ich um einen weiteren Becher davon.“
Danach packten sie die Sachen in den Wagen und brachen auf.
"Vertrauen ist eine Oase im Herzen die durch die Karawane des Denkens nie erreicht werden kann" Kahlil Gibran
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